Abituraufgabenpool der Länder

Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes, sprach mit Claudia Jacobs von Focus online über die Auswirkungen des gemeinsamen Abituraufgabenpools der Länder – einer Aufgabensammlung zur Orientierung.

Begrüßen Sie die Einführung des gemeinsamen Aufgabenpools?

Meidinger: Grundsätzlich finde ich alles gut, was beim Abitur zu mehr Vergleichbarkeit und Qualität führt. Ich habe aber große Zweifel. Die Maßnahmen der Kultusministerkonferenz sind halbherzig. Der Abituraufgaben-Pool sichert keine echte Vergleichbarkeit, führt also auch nicht zu mehr Abiturgerechtigkeit. Der Pool ist allenfalls ein Minischritt in die richtige Richtung und hat mehr symbolischen Wert.

Was macht Sie so pessimistisch?

Meidinger: Ob die Länder Prüfungsaufgaben aus dem Pool nehmen, bleibt ihnen selbst überlassen. Wenn sie es tun, bedeutet das zudem beispielsweise im Fach Deutsch nicht, dass sie auch bearbeitet werden müssen. In aller Regel stehen dort für die Schüler mehrere Prüfungsaufgaben zur Wahl. In Mathematik und der Fremdsprache macht der länderübergreifende Aufgabenteil zudem nur einen relativ geringen Anteil an der Gesamtpunktzahl aus. Die Abiturdurchschnittsnote wird dadurch nur minimal beeinflusst. Außerdem gibt es weiterhin keine transparente Überprüfung der Korrekturmaßstäbe. Gleiche Aufgaben ist das eine, vergleichbare Korrekturen das andere. Ob in Bayern härter korrigiert wird als in Berlin, will die Kultusministerkonferenz gar nicht wissen. Außerdem variieren nach wie vor die Notenberechnungsmodelle und die Einbringungspflichten.

Was lehrt der Probelauf mit der um eine Note angehobenen Matheklausur in Hamburg?

Meidinger: Er zeigt, wie Bildungspolitiker ticken. Wenn die eigenen Schüler Gefahr laufen, sich zu blamieren, knicken sie alle ein. Im Nachhinein den Bewertungsmaßstab zu ändern, ist dabei ein gängiges Prinzip. Das niedersächsische Kultusministerium hat vergangenes Jahr den Bewertungsmaßstab im Matheabitur um 12,5 Prozent abgesenkt. In Nordrhein-Westfalen durften die Schüler vor Jahren eine besonders schlecht ausgefallene Mathematik-Abiturklausur ein zweites Mal schreiben. Und in Bayern wurden 2011 sogar nachträglich die Bestehens-Regelungen erleichtert, um zu hohe Durchfallquoten beim G8-Abitur zu verhindern.

Würde unser Bildungssystem durch einen Hochschuleingangstest gerechter?

Meidinger: Nein. Die Ergebnisse solcher Eingangsprüfungen an Hochschulen sind noch zufälliger und ungerechter. Vor allem bei mündlichen Prüfungen sind Abiturienten aus bildungsnahen Elternhäusern im Vorteil, weil sie sich oft besser zu präsentieren verstehen. Außerdem können sie bei Studienbeginn öfter mit teils teuer bezahlten Zusatzqualifikationen wie etwa Auslandsaufenthalten aufwarten.

Was halten Sie von einem bundesweiten Zentralabitur?

Meidinger: Das kommt wohl nie. Erstens gibt es praktische Probleme. So erschweren unterschiedliche Ferienregelungen gemeinsame Abiturtermine. Außerdem fehlt der politische Wille. Einem echten Wettbewerb wollen sich die wenigsten Bundesländer stellen. Das englische Modell mit einheitlichen Aufgaben und landesweiten Prüfungsbehörden (Examination Boards und Awarding Bodies), die auch für die Korrektur zuständig sind, hat auch seine Nachteile, wie einige Skandale in der letzten Zeit zeigen.

Wie lautet denn Ihr Vorschlag?

Meidinger: Man muss den Wettlauf der Bundesländer um immer bessere Abiturnoten stoppen. Ich persönlich bin dafür, dass in die Abiturzeugnisse zusätzlich zur jeweiligen Abiturnote eine Zahl aufgenommen wird, die angibt, wo man innerhalb seines eigenen Bundeslandes steht.

Da würde zum Beispiel dann der Durchschnittsabiturient in Niedersachsen mit 2,6 die gleiche Ziffer kriegen wie der Durchschnittsabiturient in Thüringen mit 2,1. Diese Kennziffer sollte bei der Vergabe der Studienplätze mit herangezogen werden. Dann würde die Einserinflation in einzelnen Bundesländer den eigenen Abiturienten keine Vorteile mehr bringen. Das Problem der Qualitätssicherung hat man aber damit nicht gelöst. Bei der Inflation der Bestnoten sind übrigens die wirklichen Ausnahme-Talente die eigentlich Gelackmeierten. Ihre Spitzenleistungen gehen in der Einser-Schwemme unter.