Heinz-Peter Meidinger spricht mit Michael Böddeker vom Deutschlandfunk

Der Bundesvorsitzende des DPhV, Heinz-Peter Meidinger, ist gegen den Vorschlag, Schulnoten abzuschaffen. Auch wenn Noten nicht immer gerecht seien, gebe es nach wie vor keine Alternative, sagte der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes im Deutschlandfunk. Lernstandsberichte seien zwar eine sinnvolle Ergänzung, könnten aber die Prägnanz von Noten nicht ersetzen.

DLF: Schulnoten sind nicht mehr zeitgemäß – so sieht das zumindest die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Marlis Tepe, laut einem Zeitungsbericht. Individuelle Berichte über den Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler seien besser und vor allem gerechter, und das nicht nur etwa in der Grundschule, sondern in allen Schultypen. So sieht das auch der Bayrische Lehrerverband: Entwicklungsgespräche seien motivierender als Noten hieß es da.

Was halten Sie von der Idee, Schulnoten abzuschaffen?

Meidinger: Wenn ich ehrlich bin, gar nichts.

DLF: Warum?

Meidinger: Weil es nach wie vor keine Alternative gibt, die tatsächlich die Vorteile von Schulnoten zu ersetzen vermag, nämlich eine individuelle Rückmeldung über den Leistungsstand zu geben, die kurz, prägnant und sofort einschätzbar ist.

‘Lernstandsberichte als Ergänzungdurchaus sinnvoll’

DLF: Aber eine Einschätzung könnte man doch auch in schriftlicher Form geben, so wie es jetzt auch vorgeschlagen wird, nämlich mit einem Lernstandsbericht.

Meidinger: Das ist richtig, und das wird ja auch insbesondere in den Anfangsjahren der Grundschulen gemacht, wobei wir aber dann auch ziemlich bald die Nachteile dieser Lernstandsberichte sehen, die ich als Ergänzung durchaus für sinnvoll halte, aber eben nicht als Ersatz. Ein Nachteil ist, dass sie vielfach schwer verständlich sind, dass sie sowohl von Eltern wie von Schülern immer Nachfragen provozieren, ja, was heißt das, wo stehe ich denn. Also kurzum: Lernstandsbericht leistet das, was Noten leisten – nämlich eine Rückmeldung zu geben, wo ich stehe in der Vergleichsgruppe, stehe ich im oberen Drittel, im mittleren Drittel, habe ich Defizite –, eigentlich nicht leisten können.

‘Keiner hat die Illusion, dass Noten ein absolut gerechtes System sind’

DLF: Andererseits so eine Schulnote, also eine blanke Ziffer, das ist ja schon auch eine gewisse Reduktion, also wäre vielleicht eine Kombination von beidem das, was Sie sich vorstellen könnten?

Meidinger: Es ist immer die Frage auch, welcher Aufwand möglich, notwendig und dann auch sinnvoll ist. Ich glaube ja, dass nach meinen Erfahrungen sowohl Eltern als auch Schüler sehr genau und sehr pragmatisch einschätzen können, was Noten leisten können und was nicht. Das heißt, keiner hat die Illusion, dass Noten ein absolut gerechtes System sind. Keiner hat die Einstellung, dass Noten Werturteile bedeuten. Schüler selber, wenn sie eine schlechte Note bekommen, können meistens auch gut einschätzen, woran das gelegen hat und was sie tun müssen. Dabei müssen natürlich die Lehrkräfte helfen.

DLF: Aber können Schüler das tatsächlich so gut einschätzen, vor allem Grundschüler können ja doch sehr demotiviert werden, wenn sie eine schlechte Note bekommen. Wäre es also vielleicht zumindest für Grundschulen sinnvoll, noch auch Noten zu verzichten?

Meidinger: Ich bin durchaus dafür, dass man im ersten Schuljahr und vielleicht auch noch in der ersten Hälfte des zweiten Schuljahres auf Noten verzichtet, in dem Augenblick, wo es dann in die Nähe auch des Übertritttermins geht, und da würde ich im Grunde genommen die dritte Jahrgangsstufe schon dazuzählen, weil man kann nicht einfach kurz vorm Übertritt mit den Noten anfangen, da halte ich dann ein Notensystem für besser. Es ist übrigens auch so, dass sich Schülerinnen und Schüler auf die ersten Noten ganz besonders freuen. Mir wird immer aus den Grundschulen berichtet, wie oft die Nachfrage in der zweiten Klasse kommt, wann ich denn endlich Noten bekomme. Man darf ja auch nicht vergessen, achtzig Prozent der Noten sind gut, befriedigende oder sehr gute Noten, also man darf nicht nur immer das Bild malen von den schlechten Noten.

‘Leider noch kein einheitliches Bewertungssystem’

DLF: Aber Sie haben ja eben auch schon gesagt, keiner hat die Illusion, dass es ein komplett gerechtes System ist, und einige Ungerechtigkeiten kann man ja auch einfach festhalten. Zum Beispiel gibt es bei den Abiturnoten Unterschiede von Bundesland zu Bundesland. Wie könnte man das denn vielleicht beheben das Problem?

Meidinger: Das mit den Abiturnoten ist wirklich ein gutes Beispiel, weil es zeigt, dass wir tatsächlich über die verschiedenen Bundesländer hinweg leider noch kein einheitliches Bewertungssystem, auch keine einheitlichen Aufgabenstellungen haben. Wir sind gerade dabei, damit anzufangen, länderübergreifende Aufgabenteile zu formulieren. Auf der anderen Seite hat aber die Abiturdurchschnittsnote nach alle Studien, die wir kennen, immer noch die größte Prognosefähigkeit über ein später erfolgreich abgeschlossenes Studium. Das heißt, eine Einzelnote mag mal ungerecht sein, insgesamt gesehen mittelt sich das aus und hat doch einen hohen Prognosewert.

DLF: Aber zumindest die Unterschiede von Bundesland zu Bundesland sind ja unfair für denjenigen, der in einem Bundesland sich befindet, in dem er anders benotet wird, also schlechter.

Meidinger: Also das beklage ich auch schon seit langem. Der Philologenverband ist einer der heftigsten Mahner, endlich hier für mehr Vergleichbarkeit zu sorgen. Es geht auch darum, Vergleichbarkeit nicht auf Kosten der Qualität herzustellen, und da stecken wir tatsächlich in den Anfängen. Ich habe die Hoffnung, dass wir hier noch einige Schritte weiterkommen, weil die Alternative ist auch klar: Wenn die Abiturdurchschnittsnote weiter ungerecht bleibt zwischen den Ländern, dann wird irgendwann der Ruf nach Hochschuleingangsprüfungen erfolgen, und die werden meines Erachtens noch ungerechter sein.

Quelle: Deutschlandfunk.de/Campus & Karriere am 17. Februar 2017